„Wir arbeiten hart daran, dass es uns in Zukunft nicht mehr gibt“

Besser leben | WasteReduction

Vor einem Jahr haben Ruth Kranenberg und der Vorarlberger Martin Hinteregger „WasteReduction“ gegründet – ein Start-up, das es eigentlich gar nicht geben sollte. Wie sie die Plastikkrise lösen wollen und gleichzeitig behaupten können, dass Kunststoff ein guter Werkstoff ist, erzählen die beiden Jungunternehmer*innen und Visionär*innen im Gespräch.

Wieso ist Plastik ein guter Werkstoff?
Martin: Die korrekte Bezeichnung ist eigentlich Kunststoff.

Pardon, Plastik ist also nicht gleich Plastik?
Martin: „Plastik“ ist ein umgangssprachlicher Begriff für Kunststoff. Kunststoff ist deshalb ein ausgezeichneter Werkstoff, weil kein anderes Material so wandlungsfähig ist: Er ist steril, geschlossen-porig, flammhemmend, super leicht und vieles mehr. Deshalb ist er universell einsetzbar, obwohl er ursprünglich ein Abfallprodukt der Chemieindustrie war.

Das bedeutet, dass Kunststoffe schon immer einen sehr geringen Preis hatten?
Ruth: Genau, deshalb wurde schon von Beginn an verschwenderisch damit umgegangen. Der erste Kunststoff war Bakelit, der kam in den 1950er-Jahren auf den Markt und wurde zunächst für Lichtschalter verwendet. Das waren diese braunen Plastikschalter, die auf einmal in jedem Haushalt zu finden waren. Es war ein regelrechter Hype – binnen kürzester Zeit war Plastik aus dem alltäglichen Leben nicht mehr wegzudenken.

Bis man dann wohl festgestellt hat, dass Plastikprodukte eben auch irgendwann zu Müll und damit zum Problem werden.
Martin: Die Plastikkrise ist ein globales Problem, das man von zwei Seiten betrachten muss: In vielen Entwicklungsländern – vor allem Südostasien ist davon stark betroffen – gibt es kein funktionierendes Abfallmanagement. Trotzdem werden dort Produkte aus Kunststoff verkauft, obwohl die Hersteller ganz genau wissen, dass es keine geeigneten Abfall-Strukturen gibt. Deshalb landet der Müll einfach hinter dem Haus, und während der Monsunzeit wird er über die Flüsse ins Meer transportiert.

Ruth: Auf der anderen Seite haben wir in Mitteleuropa ein zum Großteil sehr gut funktionierendes Abfallsystem. In Deutschland liegt die Sammelquote sogar bei über 99 Prozent! Zusätzlich wird beim Kauf von Kunststoff-Produkten eine Gebühr abgeführt, die der Entsorgung zugutekommt. Insofern ist der Plastikkonsum in Mitteleuropa nicht direkt für den Plastikmüll in den Ozeanen verantwortlich, und deshalb wird hier die Bambuszahnbürste oder eine Zero-Waste-Philosophie nicht dazu führen, dass in Thailand weniger Plastikmüll im Ozean landet.

Deshalb habt ihr mit eurem Start-up „WasteReduction“ einen neuen Ansatz gewählt: Ihr vertretet das Konzept der Kunststoffkompensation. Was bedeutet das, und wofür steht das Label „plastikneutral+“?
Ruth: Mit dem Label bieten wir sowohl Herstellern als auch Unternehmen und Konsument*innen eine Möglichkeit, gegen die Plastikkrise vorzugehen. Wenn Produzent*innen keine ökologisch sinnvolle Alternative zu Kunststoff haben, dann sollen sie zumindest die Möglichkeit haben, den Plastikanteil in ihren Produkten zu kompensieren. Das bedeutet im Klartext: Teilnehmende Unternehmen bezahlen einen Kompensationsbeitrag für die Menge an Kunststoff in ihren Produkten und sind so dazu berechtigt, unser Label zu nutzen. Mit den finanziellen Mitteln der Kompensationszahlung unterstützen wir wiederum weltweite Projekte, die gewährleisten, dass die Natur von der gleichen Menge an Plastikmüll befreit wird.

In was für Projekte seid ihr da konkret involviert?
Martin: Von klassischen „Cleanups“ in Indonesien, den Philippinen oder Deutschland über den Aufbau von Abfallsystemen in Nepal und Albanien bis hin zu Bildungs- und Aufklärungsarbeit in deutschen und österreichischen Schulen. Die Plastikkrise hat viele Ursachen, deswegen werden wir sie auch nicht mit einem einzigen Projekt lösen können. Mit WasteReduction haben wir einen ganzheitlichen Ansatz gewählt – unser Label „plastikneutral+“ steht für mehr als reine Ausgleichsarbeit.

Womit ihr euch ja auch von anderen Umweltschutzorganisationen unterscheidet.
Ruth: Allerdings ist unser Ansatz weit schwieriger zu vermarkten.

Martin: Es gibt ja einige Umweltfirmen, die verkaufen dir ein T-Shirt für 20 Euro, und dafür werden dann drei Kilogramm Müll am Strand aufgesammelt. Allerdings ist das ein reines Business-Modell: Erstens wird ein T-Shirt produziert, das meistens niemand braucht; zweitens wird es verpackt versendet, wodurch wiederum Müll entsteht, den man dann irgendwo aus dem Meer fischt – wobei nur 0,5 Prozent des Mülls aufschwimmt und deshalb auch nur wenige Promille zurück an den Strand kommen –, das ist also pure Augenauswischerei und ökologischer Bullshit! Als Unternehmen oder NGO wird man damit zwar bekannt, aber es hilft nicht dabei, das Problem zu lösen.

Ruth: Was wir machen, ist eben weit komplexer: Wir finanzieren Projekte, die wirklich einen Impact haben, aber nicht super sexy zu verkaufen sind. Also wenn wir jetzt unser Projekt in Albanien betrachten, da fallen hinter einer Maschine irgendwo so kleine Kügelchen als Kunststoff-Rezyklat heraus. Versuch das mal einem Menschen schmackhaft zu machen. Obwohl wir da ehrliches Recycling betreiben und einen sinnvollen Beitrag leisten, macht deswegen noch niemand Luftsprünge.

Trotzdem sind bereits einige Unternehmen auf euch zugekommen und leisten ihren Kompensationsbeitrag. In den Sutterlüty Märkten sind in Zukunft einige Produkte mit eurem Label vertreten.
Martin: Zum Glück! Da wäre einmal die Reinigungsfirma Rala aus Vorarlberg, die Reinigungsprodukte herstellt. Zu Beginn unserer Arbeit haben wir Tests durchgeführt, um zu sehen, ob ihre Kunststoffflaschen durch Rezyklat-Verpackungen zu ersetzen sind. Das hat aber nicht geklappt, die Kunststoffflaschen auf Rezyklat-Basis haben sich verzogen, daher gibt es für Rala keine sinnvollere Alternative, als zu kompensieren.

Ruth: Mit den Hempions, die nachhaltige und vegane Nahrungsmittel produzieren, haben wir zuerst eine Verpackungsumstellung gemacht, bevor die Kompensation sinnvoll war. Zuvor wurden dort Multilayer-Beutel verwendet, in denen mehrere Stoffe miteinander verbunden und daher nicht recyclingfähig waren. Jetzt bezieht Hempions in ihrer Produktpalette nur Mono-Materialien, die bestens recyclebar sind – zusätzlich kompensiert die Firma ihre recyclebaren Verpackungen. In diesem Fall wird also nicht nur die Menge an Kunststoffmüll reduziert, sondern auch die Recyclingquote angehoben und auch noch kompensiert – ein riesengroßer Erfolg für die Umwelt!

Aber auch für euch als Start-up, oder etwa nicht?
Ruth: Nein, denn wir arbeiten nicht gewinnorientiert, sondern gemeinnützig. Wir brauchen keinen finanziellen Anreiz, unser innerer Antrieb ist völlig ausreichend.

Martin: Wir wollen unser Start-up auch nicht in ein paar Jahren für eine Millionensumme verkaufen und wieder verschwinden. Wir arbeiten hart dafür, dass es uns in Zukunft nicht mehr geben wird, weil das Problem dann hoffentlich gelöst ist.

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