d’Senfar

Wie macht man eigentlich Senf? Mit dieser Frage haben wir uns bisher noch nicht besonders intensiv auseinander gesetzt. Umso lieber haben wir bei Lustenauer Senf die Gelegenheit genutzt, den Senfköchen bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Und wir sind aus dem Staunen im besten Sinne des Wortes nicht mehr herausgekommen.

Wer noch nie bei Lustenauer Senf in der Rheinstraße war, sucht erst mal eine Weile: ein großes Firmengebäude, ein paar Fahnen oder zumindest ein Schild an der Einfahrt. Doch da kann man lange suchen. Denn die landauf, landab bekannte „Senffabrik“ ist genau das eben nicht: eine Fabrik. Vielmehr wird Vorarlbergs berühmte Senfvielfalt in einer kleinen, aber feinen Senfküche zubereitet. Und zwar weitestgehend in Handarbeit. Kaum zu glauben, dass hier jedes Jahr 300 Tonnen Senf produziert werden – vor allem die Klassiker Lustenauer Senf mild und scharf, Krensenf und der beliebte Bauernsenf. Doch zum eigentlichen Grund, warum wir heute hier sind, passt der Manufaktur-Charakter des traditionsreichen Familienbetriebs ganz wunderbar: Lustenauer Senf stellt ein erstaunlich großes Sortiment an Senf-Spezialitäten her. Wie genau, das wird uns Georg Bösch heute zeigen.

Als wir kurz nach acht Uhr morgens eintreten, liegt schon ein selbst um diese frühe Uhrzeit erstaunlich angenehmer, mild-würziger Senfduft in der Luft. Und es ist mucksmäuschenstill in der kleinen Produktionshalle. „Noch“, lacht Georg, der jüngste der drei Senfköche, die das Unternehmen heute führen. „Das wird sich bald ändern.“ Zuerst aber dürfen wir zuschauen, wie der Lustenauer Subirer-Senf entsteht.

Regionale Vernetzung

Die Birnenpaste für diesen fruchtigen Spezialsenf mit dem b’sundrigen Pfiff hat Georg schon am Vortag zubereitet. „Dazu werden Essig, Wasser und Apfelmost mit Salz und Zucker erhitzt“, erklärt er uns. Der Apfelmost kommt von der Mosterei Krammel. Die Äpfel dafür wachsen auf einer über 100 Jahre alten Streuobstwiese am Grindelkanal. „Dann kommen getrocknete Birnen dazu, die in der Flüssigkeit wie eine Art Marmelade eingekocht werden.“ Über Nacht hat die Paste Zeit zum Abkühlen. Heute kommt noch das i-Tüpfelchen, „ein Schuss“ Subirer von der Destillerie Freihof, dazu. Auf eine Chargenmenge von ca. 100 Kilogramm Senf sind das 14 Liter Schnaps. „Das verteilt sich gut“, grinst Georg, „so ein Glas Subirer-Senf hat am Ende keinen höheren Alkoholgehalt als Bier.“ Solange man das Glas nicht auf einmal leerlöffelt, dürfte ein Senfdusel also ausgeschlossen sein. Jetzt wird noch das Senfmehl, in diesem Fall aus gelben Senf-körnern, eingerührt. Das passiert bei den Spezialsenfen noch immer von Hand. Während Georg also die Mischung mit einem riesigen Schneebesen sorgfältig umrührt, haben wir Zeit, ein bisschen über die Geschichte des legendären Lustenauer Senfs zu plaudern.

Lustenauer Senftradition seit 1911

Gegründet wurde das Unternehmen von Richard Bösch, dem Urgroßvater der heutigen Inhaber. Und zwar am selben Ort, wo es sich heute noch befindet. Wie innovativ der Senfmüller zu seiner Zeit war, zeigt sich vor allem daran, dass auch die Generationen nach ihm an der grundsätzlichen Arbeitsweise kaum etwas verändert haben: Schon damals setzte Bösch auf Bio. Lange, bevor es den Begriff im heutigen Sinne gab. Seine Senfe entwickelte er aus rein natürlichen Zutaten und machte sich damit rasch einen Namen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der wie für viele andere Vorarlberger Betriebe auch für Lustenauer Senf einen drastischen Einschnitt bedeutete, baute Sohn August das Unternehmen wieder auf. In den Sechzigerjahren dann stiegen wiederum dessen Söhne, Herbert und Reinhard Bösch, ins Geschäft ein. Als passioniertem Hobbykoch lag besonders Herbert das Experimentieren mit neuen Senfkreationen regelrecht im Blut. Sein berühmter Zigeunersenf ist noch heute einer der beliebtesten Spezialsenfe.

Großer Geschmack aus einem kleinen Betrieb: Hier entstehen jedes Jahr 300 Tonnen Lustenauer Senf.

Freude am Experimentieren

Auch für die drei Bösch-Söhne, die heute das Unternehmen leiten, ist das Experimentieren mit neuen Geschmacksrichtungen und ungewöhnlichen Zutaten ein Steckenpferd. Neben den Klassikern wie dem milden und dem scharfen Lustenauer Senf, dem Krensenf und dem Bauernsenf stellen Stefan Bösch und seine Cousins, die Brüder Felix und Georg Bösch, heute pro Jahr ca. 15 Tonnen Spezialsenfe her. Zehn verschiedene Sorten gibt es, je nach Saison sogar mehr. Stefan, der Sohn von Reinhard Bösch, ist seit 2008 Senfkoch und damit am längsten im Senfgeschäft. Wie seine Cousins ist er eigentlich gelernter Metaller. „Doch die Chance, das Familienunternehmen zu übernehmen, kommt nur einmal im Leben.“ Eine Chance, die er 2011 zusammen mit Felix genutzt hat. Seit fünf Jahren ist auch Georg mit an Bord. Während der noch immer mit großer Sorgfalt im Senfkessel rührt, hat Stefan angefangen, die laufende Senfproduktion zu kontrollieren. Dazu nimmt er eine Probe von dem Bauernsenf, der gerade fertig geworden ist. Die Probe wird zur späteren Rückverfolgbarkeit aufbewahrt. Und er verkostet den Senf. Denn auch wenn die Senfe stets nach Rezept zubereitet werden, die beste Geschmackskontrolle ist und bleibt der erfahrene Gaumen eines passionierten Senfkochs.

Senfonie in Gelb-Braun-Schwarz

Mittlerweile ist auch der Subirer-Senf fertig. Jetzt kommt der Deckel drauf und der Senf kann nochmal kurz ziehen, bevor er – ebenfalls von Hand – in Gläser abgefüllt, etikettiert und verpackt wird. Bis es so weit ist, setzen wir unseren Rundgang fort. Im oberen Stock der kleinen Produktionshalle lagert in großen Säcken das „körnige Gold“ der Senfmühle: die unterschiedlichen Senfsaaten, die die Böschs für ihre Senfprodukte verarbeiten. „Wir verwenden sechs verschiedene Sorten Senf, auch in Bio-Qualität“, erläutert Georg. Zwei braune, eine schwarze aus Apulien und verschiedene gelbe Senfsaaten – unter anderem aus Niederösterreich – finden ihren Weg in die Lustenauer Senf-Spezialitäten. Wenn wir schon mal hier oben sind, setzt er auch gleich die Basismischung für den Süßen Hausmachersenf an. Davor aber muss noch die Qualität der Senfsamen kontrolliert werden. „Wir prüfen jede Lieferung auf Sicht, auf Geruch und natürlich auf Geschmack“, sagt Georg und steckt einen hohlen Rohrstab in den riesigen Sack mit Senfsamen. Im Inneren des Rohrs sammeln sich Senfkörner aus allen Schichten, so lässt sich eine gute Querschnitt-Stichprobe ziehen. Er verkostet ein paar der Senfkörner, und auch uns lässt er probieren. Mit leisem Knacken zerplatzen die kleinen runden Körner im Mund und eine angenehme Schärfe breitet sich aus. „Brauner Senf ist etwas schärfer als gelber“, erklärt uns Georg. Stimmt. Der Geschmack erinnert entfernt an Kren. Georg ist zufrieden mit der Qualität der Senfsamen und beginnt mit der Zubereitung. Dazu mischt er zu gleichen Teilen gelbe und braune Senfkörner und schickt sie über die Wiege-Einheit durch eine Art Rohrpost direkt in die Mühle im Erdgeschoss. Dort werden die Samen zu Senfmehl gemahlen. Das wiederum wird in einer Essig-Wasser-Mischung zum Quellen gebracht. Aber erst die geheime Gewürzmischung und die typische Süße aus weißem und braunem Zucker machen den Hausmachersenf später zu einer typischen Lustenauer Senf-Spezialität.

Handarbeit von anrühren bis zuschrauben

Unten haben Felix und Stefan bereits begonnen, den Subirer-Senf abzufüllen und zu etikettieren. Auch das passiert, wie jeder Arbeitsschritt für die Spezialitäten-Senfe, noch immer von Hand. Und jeder der drei Senfköche packt überall mit an. „Bei uns ist jeder für alles zuständig, wie das eben so ist in einem Familienbetrieb“, gibt uns Felix das Stichwort. Doch gerade als wir nachfragen wollen, was denn die Väter Reinhard und Herbert zur Arbeit der jungen Männer sagen, geht die Tür auf. Herein kommt Reinhard. „Zum Kaffeetrinken kommen unsere Väter immer noch gerne vorbei“, erklärt Georg. „Um nach dem Rechten zu sehen?“, wollen wir wissen. „Zum Kuchenessen!“, kommt die Antwort wie aus einem Mund. Denn bei den „Senfarn“ hat die Zehn-Uhr-Pause Tradition. Vielleicht auch deshalb, weil Tante Edith, Stefans Mama, fast jeden Tag einen selbstgebackenen Kuchen vorbeibringt. Dann kehrt für zehn Minuten Ruhe ein in der Senfküche und es geht um die privaten Leidenschaften der Bösch-Männer. Dazu zählen, neben Ediths Kuchen, vor allem der Bergsport und das Skifahren. In den seltenen Momenten, wo selbst der erfahrene Senfkoch Stefan einmal nicht weiterweiß, sind die Väter Reinhard und Herbert natürlich auch gerne mit gutem Rat und den unbezahlbaren Erfahrungswerten aus über 40 Jahren Senfherstellung zur Stelle. Darüber hinaus allerdings genießen sie in aller Ruhe die Gewissheit, dass das Lebenswerk der Familie auch bei der vierten Generation in besten Händen ist.

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