Schwesterhuhn und Bruderhahn

Eiklar, Dotter oder beides – Eier sind ein wichtiger Bestandteil zahlreicher Weihnachtsbäckereien. Doch das Ei hat auch eine weniger appetitliche Seite: Bisher ist es gang und gäbe, männliche Legehennen-Küken gleich nach dem Schlüpfen zu töten. Am Martinshof ist das anders, denn auch die Bruderhähne der hier lebenden Hühner werden aufgezogen.

Auf der einen Seite ein gemütlicher Stall mit überdachtem Außenbereich, auf der anderen Seite schmalstämmige Pappeln als Schutz vor Angreifern von oben. Dazwischen tummeln sich zufrieden gackernd, scharrend und pickend kleine Grüppchen von neuerdings weißen Hühnern. Auf der großen Hühnerwiese am Martinshof in Buch ist die Welt in Ordnung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil wegen der hier lebenden Hühner keine männlichen Küken sterben mussten.

Doch warum ist das etwas Besonderes? In Österreich ist es in der konventionellen Hühnerhaltung traurige Routine, männliche Küken von Legehennen bereits am ersten Lebenstag zu töten, weil sie naturgemäß keine Eier legen. 9,5 Millionen Küken waren das alleine im Jahr 2020. Ein Missstand, den die Martins nicht länger hinnehmen wollten. „In der österreichischen Biobranche ist das Aufziehen der Hähne schon länger üblich“, erklärt uns Claudia Martin. „Wir finden das gut. Deshalb sind alle unserer Bio-Betriebe auch Bruderhahn-Betriebe.“

Was passiert mit den Bruderhähnen?

Wie schon bisher leben am Martinshof und bei jedem Partnerbetrieb je ca. 20 Hähne bei den Hühnern. „Die Hähne sind wichtig für das Sozialgefüge. Vor allem unser Caruso hier hat die Damen gut im Griff“, erklärt uns Bertram und deutet auf ein besonders prachtvolles Exemplar. „Das ist unser schönster Hahn!“, sind sich auch Luise (10) und Magdalena (12), die Töchter der Martins, einig.

Doch um alle Bruderhähne selbst aufzuziehen, fehlt am Martinshof der Platz. Auch wirtschaftlich sei das für einen Legebetrieb dieser Größe nicht machbar. Deshalb werden die Hähne in Bruderhahnbetrieben aufgezogen. Die Hähne leben dort 70 bis 90 Tage, immerhin doppelt so lange wie ein klassisches Masthuhn. Dann werden sie geschlachtet und das Fleisch wird größtenteils zu Wurstwaren, Füllungen für Teigwaren und Ähnlichem verarbeitet. „Das Problem ist, dass die Hähne sehr viel weniger Fleisch ansetzen als ein Brathendl“, erklärt Bertram Martin. „Wenn ein Hahn ca. 3 Kilogramm wiegt, bleibt am Ende nicht einmal ein Kilogramm Fleisch übrig.“ Mit dem Erlös aus dem Fleischverkauf lassen sich die Kosten der Bruderhahnaufzucht also bei Weitem nicht decken. „Wir zahlen deshalb für jede Junghenne einen Aufpreis.“ Das macht am Ende jedes Bio-Ei um 3 Cent teurer. Ein Mehrpreis, den die Konsumentinnen und Konsumenten offenbar gerne in Kauf nehmen. „Wir haben bisher nur gutes Feedback bekommen“, freut sich Claudia.

Die Hähne sind wichtig für das Sozialgefüge!

Hallo, wir sind die Neuen!

In diesem Jahr haben Claudia und Bertram Martin gleich noch ein Experiment gewagt: Statt der braunen „Lohmann Brown“-Legehennen gackern seit diesem Frühjahr weiße „Lohmann Sandy“-Hühner über die Wiesen, vorerst jedoch nur am Martinshof direkt. Wenn es gut läuft mit der neuen Rasse, kann jeder Partnerbetrieb im nächsten Jahr selbst entscheiden, ob er ebenfalls umsteigen möchte. „Diese Hühner haben einen ganz anderen Charakter“, sagt Bertram Martin. Während er bisher bei seinen Kontrollgängen im Stall und auf der Wiese auf Schritt und Tritt von den gefiederten Damen umringt war, beobachten seine jetzigen Hühner das Geschehen auch nach Monaten am Hof lieber aus sicherer Entfernung. „Mindestens drei Meter Abstand halten sie immer.“ Trotzdem versuchen wir, die vorsichtigen Tiere noch einmal vor die Linse zu bekommen, bevor die Sonne untergeht. „Ihr müsst ein bisschen vor euch hinsingen, das mögen sie gerne“, grinst Bertram. Wir lassen es lieber. Tierwohl geht vor.

Viereinhalb bis fünf Monate waren die Hühner alt, als sie im Frühsommer auf den Martinshof gekommen sind. Jetzt sind die Hühner erwachsen und legen bereits fleißig Eier. Im Stall fressen die Tiere Mais, Weizen, Sonnenblumenkerne, Raps und etwas Soja aus dem Donauraum. Ergänzt wird der Speiseplan mit Gräsern, Kräutern und einem gelegentlichen Wurm beim täglichen Auslauf auf der weitläufigen Wiese. Ihre Tage verbringen sie so, wie man es sich als Huhn nur wünschen kann: Um halb sechs gibt es Frühstück, dann geht es zum Eierlegen in die mit weichem Dinkelspelz ausgelegten Legenester. Im Anschluss können die Hühner, wenn sie wollen, nach draußen – und zwar den ganzen Tag. „Diese Rasse ist sehr neugierig und gerne unterwegs“, erzählt Bertram. „Die Ersten sind schon nach ein paar Tagen ausgebüxt, darum mussten wir hier einen zweiten Zaun aufstellen.“ Genau über diesen klettern auch wir jetzt wieder, denn die Fotos sind im Kasten und die Hühner wollen langsam zurück in ihren gemütlichen Stall. Auch wir machen uns auf ins Warme.

Auf einem nachhaltigen Weg

Im Büro gibt es heißen Kaffee und am Tisch wartet schon ein Teller mit den ersten Weihnachtskeksen. „Kekse backt bei uns immer die Oma Paula, da brauche ich gar nicht erst versuchen mitzuhalten“, lacht Claudia, die sich auch lieber um die Qualität und die möglichst nachhaltige Produktion der Zutaten kümmert. Für Claudia und Bertram Martin ist die Bruderhahn-Aufzucht einer der vielen Schritte auf diesem Weg. „Uns ist es sehr wichtig, dass das, was wir machen, Hand und Fuß hat“, betont Bertram. Das bedeutet für die Martins, sich umfassend zu informieren, abzuwägen und dann eine Entscheidung zu treffen, die Schritt für Schritt umgesetzt wird. In vielen Belangen hat der Martinshof so eine Vorreiterrolle eingenommen, wie beispielsweise mit der 100 Prozent plastikfreien Nudelverpackung aus Zellulose. Zudem arbeitet der gesamte Betrieb klimaschonend. Doch nur weil ein Schritt einmal gegangen wurde, bedeutet das nicht, dass die Martins dort stehenbleiben. Im Gegenteil: „Umwelt- und Klimaschutz und vor allem das Tierwohl sind Bereiche, in denen man immer etwas besser machen kann“, sagt Claudia. „Und das ist unser Ziel.“

Bis dato ist die Bruderhahn-Aufzucht für die Martins die beste Möglichkeit, mit der sensiblen Küken-Problematik umzugehen. Und was können wir Konsumentinnen und Konsumenten tun? „Ganz einfach“, sagt Bertram. „Für Eier gilt dasselbe wie für alle tierischen Lebensmittel: lieber weniger konsumieren und dafür auf die Herkunft und die Qualität achten.“ – „Und das, was daraus entsteht, genießen“, ergänzt Claudia und reicht den Keksteller herum. Was für ein schöner Vorsatz. Fürs nächste Jahr – und vielleicht sogar schon für dieses Weihnachten.

MARTINSHOF
Familie Martin
Risar 36a
6960 Buch

Tel. +43 (0)5579 / 8259
info@martins-hof.at